Welche ist die richtige Erzählperspektive für euer Buch?

  • Beitrags-Kategorie:Schreibtipps
  • Beitrags-Kommentare:0 Kommentare
  • Lesedauer:14 min Lesezeit

Der ewige Kampf: Welche Erzählperspektive ist besser? Ich-Erzähler oder doch lieber der Er-/Sie-Erzähler?

Ich will meine Meinung zu dem Thema gar nicht vor euch verstecken, auch wenn sie meine Empfehlungen an euch nicht beeinflussen wird: Wann immer ich tatsächlich die Wahl habe, würde ich beinahe immer den Er-/Sie-Erzähler wählen. Keine Frage. Habe ich schon immer lieber gelesen und beim Schreiben ist es für mich so auch deutlich angenehmer.

Aber da scheiden sich ja wirklich die Geister, ne? Die meisten Leute, die ich dazu befragt habe, präferieren den Ich-Erzähler.

„Gibt es denn da echt so große Unterschiede?“

„Warum sollte einer besser oder geeigneter sein als der andere?“

„Welchen von beiden wähle ich denn nun für mein Buch?“


Alles sehr wichtige Fragen und sie alle werden in diesem Beitrag selbstverständlich für euch beantwortet. Dazu bin ich schließlich da. Um euch bei der Wahl der Perspektive für euer Buch zu helfen oder eure bereits getroffene Wahl mit meinen Worten abzusegnen. Was für eine dankbare Aufgabe.

Zeit für Deutschunterricht

Bevor wir uns um die Frage kümmern, welche von beiden Perspektiven denn nun für euch und euer Buch besser geeignet ist, müssen wir natürlich erstmal und vollständig klären, um was genau es sich beim Ich- und beim Er-/Sie-Erzähler eigentlich handelt.

Ich spreche bewusst von „den beiden“ Perspektiven, da ich die „Du-Perspektive“ mal ganz filigran aus dieser Diskussion raushalte. Natürlich könnt ihr sie benutzen, aber da ich sie ernsthaft noch nie in freier Wildbahn gesehen und nicht das Gefühl habe, dass irgendjemand sie schreiben möchte, ignorieren wir sie mal gekonnt.

Vorab: Selbstverständlich könnt ihr auch bei beiden Varianten auch mehrere Sichten einnehmen, zum Beispiel vom Protagonisten und seiner Love Interest. Man kann rein theoretisch nach oder in jedem Kapitel einen Bruch zwischen beiden machen und dann ganz locker die Perspektive des jeweils anderen einnehmen. Das beeinflusst allerdings die Wahl der eigentlichen Erzählperspektive nicht, also lasset uns fortfahren, meine Schäfchen.

Ich-Erzähler

Diese Perspektive ist denkbar einfach zu erklären: Der Erzähler ist einer der Charaktere eures Buches, meistens der Protagonist.

Wie sich am Namen unschwer erkennen lässt, schreibt ihr hier aus der Sicht eines echten Menschen („Mensch“ in Anführungszeichen. Kann natürlich auch ein Vampir sein. Oder ein Schuh, wenn ihr so kreativ seid wie mein Grundschul-Selbst), dem die Handlung der Geschichte passiert.

Er-/Sie-Erzähler

Hier wird es schon etwas komplexer. Der Er-/Sie-Erzähler ist kein Charakter eures Buches, er erzählt die Handlung stattdessen aus einer etwas weiter vom Geschehen entfernten Sicht.

Ich stelle ihn mir gerne als kleinen, unsichtbaren Geist vor, der die Figuren der Geschichte auf Schritt und Tritt verfolgt, aber von niemandem im Buch gesehen werden kann. Traurig eigentlich.

Allerdings haben wir alle im Deutschunterricht gelernt, dass es an dieser Stelle mit dem Er-/Sie-Erzähler noch nicht vorbei ist.

Der allwissende Erzähler

Der Name ist hier mal wieder Programm: Der allwissende Erzähler weiß, na ja, alles.

Er weiß alles über eure Geschichte. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Er weiß alles über sämtliche Charaktere, auch wenn sie selbst gewisse Dinge noch nicht wissen. Er kennt jedes Geheimnis, jeden Plottwist.

Bei den Worten „allwissender Erzähler“ habe ich immer sofort das Bild eines omniszienten Gottes vor Augen, der hoch über der Handlung des Buches thront und seinen Vasallen eine Geschichte erzählt, die er schon lange in- und auswendig kennt.

Der allwissende Erzähler nimmt nicht die Perspektive eines einzelnen Charakters ein. Das könnte er auch gar nicht, denn immerhin weiß er ja schon alles, was passieren wird, und kann dementsprechend auch keine Geheimnisse mit einem oder mehreren wenigen Charakteren zusammen aufdecken.

Der personale Erzähler

Auch dieser Erzähler schwebt über eurer Story und nimmt selbst nicht aktiv daran teil. Allerdings verfolgt er speziell einen oder mehrere Charaktere.

Im Gegensatz zum allwissenden Erzähler weiß er nur das, was der Charakter weiß, in dessen Kopf er sozusagen hockt. Stellt es euch so vor, als würde dieser Erzähler die Handlung durch die Augen eures Protagonisten miterleben. Eigentlich ist er allerdings kein Teil von ihr, sondern schildert lediglich dem Leser, was gerade so abgeht.

Warum solltet ihr den Ich-Erzähler wählen?

Auch wenn ich den Er-/Sie-Erzähler präferiere, heißt das auf keinen Fall, dass die Ich-Perspektive nicht ihre Vorteile hat. Genau genommen gibt es sogar einige.

Zunächst einmal ist der Ich-Erzähler heutzutage einfach angesagter als der Er-/Sie-Erzähler. Das hat jetzt natürlich wenig mit euch oder eurer Geschichte zu tun, aber falls ihr gerne auf Hype-Züge aufspringt, ist der Ich-Erzähler euer Mann.

Außerdem muss man sagen, dass der Ich-Erzähler in vielen Fällen näher an der Geschichte dran ist als der Er-/Sie-Erzähler. Das kommt zwar ganz darauf an, wie man das Ganze schreibt, aber bei der Ich-Perspektive ist es häufig leichter, extrem szenennah zu schreiben.

Ergibt auch Sinn, da der Erzähler ja nun wirklich mitten im Geschehen ist.

Um allerdings mal etwas mehr auf euch als Person einzugehen, könnte die Ich-Perspektive eine fantastische Wahl sein, wenn ihr die Stimmen der Charaktere, aus deren Sicht ihr schreiben wollt, perfekt raus habt.

Immerhin seid ihr hier nicht der Erzähler. Eure eigene Erzählstimme hat hier nichts verloren, obwohl die natürlich der eures Charakters ähnlich sein kann.

Falls ihr also die Stimme eures Protagonisten ohne Probleme und konsequent durchziehen könnt, ist der Ich-Erzähler möglicherweise der richtige für euch.

Warum solltet ihr den Ich-Erzähler nicht wählen?

Das zuletzt genannte Argument ist hier der Knackpunkt.

Wenn ihr in der Ich-Perspektive schreibt, müsst ihr die Stimme des Charakters wirklich perfekt im Kopf haben und sie auch zu Papier bringen können. Wenn ihr damit Schwierigkeiten habt oder lieber eure ganz eigene Erzählstimme verwenden wollt, ist dieser Erzähler möglicherweise nicht geeignet.

Zudem dürft ihr ausschließlich das berichten, was euer Charakter weiß und kennt, wenn ihr aus dieser Perspektive schreibt. Das kann ziemlich anstrengend werden, besonders wenn ihr viele Informationen einbauen müsst, die euer Charakter gar nicht kennen kann.

Da kann zur Not allerdings ein Prolog oder so etwas Abhilfe schaffen. Eine Lösung findet sich da bestimmt.

Warum solltet ihr den Er-/Sie-Erzähler wählen?

Um mich glücklich zu machen 🙂

Nee, Spaß, ich lese auch gerne Bücher aus der Ich-Perspektive.

Rein theoretisch könnte man an dieser Stelle einfach die Argumente gegen den Ich-Erzähler umdrehen, aber wir machen hier mal so professionell weiter, wie wir angefangen haben.

Da eines der größten Argumente gegen den Er-/Sie-Erzähler das ist, dass er zu weit von der Geschichte entfernt sei, widerlege ich das hier und jetzt:

Gut geschrieben kann eine Version des personalen Erzählers exakt denselben Effekt erzielen wie der Ich-Erzähler. Ernsthaft. Das ist meine absolute Lieblings-Erzählperspektive. Verbindet die Vorteile des Ich-Erzählers mit denen des Er-/Sie-Erzählers, es ist herrlich.

Allerdings ist diese Perspektive schwieriger zu schreiben als die Ich-Perspektive, allein schon, weil man sich immer vor Augen halten muss, dass man sozusagen der Ich-Erzähler in einem Tarnoutfit ist.

Falls ihr also gerne den Er-/Sie-Erzähler verwenden wollt, aber Angst habt, ihr müsstet dabei zu weit von der Handlung entfernt schreiben, sorgt euch nicht. Mimt einfach den Ich-Erzähler, aber benutzt dabei Er-/Sie-Pronomen.

(Es mag etwas komplexer sein als das, aber jetzt mal ernsthaft: Hört auf mit eurem „Er-/Sie-Erzähler sind so kaaalt und distanzieeert, wäää“. Danke.)

Einen weiteren Vorteil bietet der allwissende Erzähler: Ihr müsst euch nicht darum kümmern, unendlich viele kleine Kapitelchen aus allen möglichen Sichten in eurem Buch zu verstreuen, nur um den Lesern wirklich alle Infos mitzuteilen, die sie wissen müssen. Das kann einfach alles euer Erzähler machen, der ja so oder so keine wirkliche Perspektive einnimmt. Wie praktisch.

Ich gucke mit diesem speziellen Punkt übrigens kein Buch direkt an. Besonders keins, das mich sehr enttäuscht hat und zweimal in meinem Bücherregal steht. Nope. Wir sind hier ja ganz professionell und würden niemals in einem Blogpost unsere Wut auf dieses eine spezielle Buch verarbeiten, nicht wahr?

Weiter im Text.

Eines der für mich schwerwiegendsten Argumente für den Er-/Sie-Erzähler ist es, dass man seine eigene Erzählstimme unverändert benutzen kann. Für mich persönlich ist das einfach deutlich angenehmer, als mich ständig darum sorgen zu müssen, dass ich irgendwie gerade Veins und meine Stimme vermische oder vielleicht versehentlich direkt meine eigene genommen habe.

Um sowas müsst ihr euch beim Er-/Sie-Erzähler einfach keine Gedanken machen. Weder der allwissende noch der personale Erzähler erfordern es, dass ihr eure Stimme verstellt, auch wenn man bei Letzterem häufig dazu tendiert, zumindest ein wenig die Stimme des Protagonisten anzunehmen.

Warum solltet ihr den Er-/Sie-Erzähler nicht wählen?

Wie schon häufig in diesem Post angesprochen, empfinden viele Leser den Er-/Sie-Erzähler als zu distanziert und behaupten, sich nicht wirklich in ihn hineinversetzen zu können.

Ich denke, ich habe jetzt deutlich genug betont, dass dem nicht so sein muss, aber dennoch müssen wir leider akzeptieren, dass eine Menge Leser den Er-/Sie-Erzähler nicht mögen.

Das lässt sich nicht ändern und kann rein theoretisch für beide Perspektiven gesagt werden. Es gibt sicherlich auch genug Menschen, die die Nase rümpfen, wenn sie ein Buch aufschlagen und den Ich-Erzähler vorfinden.

Aber wie gesagt: Der Hype-Zug klappert heute leider nur die Ich-Erzähler-Stationen ab. Falls ihr ihn also kriegen wollt, solltet ihr es dort versuchen.

Ein weiteres Problem des Er-/Sie-Erzählers sind eindeutig die Pronomen. Besonders, wenn ihr viele Charaktere desselben Geschlechts habt, verliert man schnell mal den Überblick. Da kann das kleine Pronomen „Ich“ an einigen Stellen schon echt helfen.

Allerdings müsstet ihr bei sowas halt einfach kreativ mit den Bezeichnungen der Charaktere werden. Und damit meine ich jetzt nicht, jemanden, dessen Name bekannt ist, als „die Braunhaarige“ zu bezeichnen. Sowas ist in den meisten Fällen eher verwirrend als hilfreich.

Schreckt nicht davor zurück, einen Charakter ruhig häufiger beim Namen zu nennen. Es fühlt sich immer nach mehr an, als es eigentlich ist.

Ihr könnt auch bestimmte Sätze umstrukturieren, um offensichtlich zu machen, wen genau ihr mit „Er“ nun genau meint.

Es gibt da sehr viele Möglichkeiten, die ihr verwenden könnt.

„Aber welche Perspektive sollte ich denn jetzt wählen?“

Welche auch immer ihr wollt, ihr Helden.

Es gibt da kein Richtig und auch kein Falsch.

Bei manchen Geschichten ist es ganz offensichtlich, welche Perspektive man wählen sollte, bei manchen könnt ihr sozusagen frei wählen. Und dann nehmt ihr halt einfach die Perspektive, mit der ihr euch am wohlsten fühlt.

Die Vor- und Nachteile habe ich euch ja nun aufgelistet, ihr müsst also nur noch abwägen.

Selbstverständlich könnt ihr auch mehrere Erzähler in einem Buch vereinen.

Da fällt mir natürlich sofort eine meiner liebsten Buchreihen überhaupt ein: Jonathan Strouds „Bartimäus“-Tetralogie, die den Er-/Sie-Erzähler perfekt mit der Ich-Perspektive vereint und dabei sämtliche Vorteile der beiden Möglichkeiten ausschöpft.

Letztendlich kann ich einfach nur sagen: Wählt die Perspektive, die sich für euch und eure Geschichte richtig anfühlt. Zur allergrößten Not könnt ihr das ja bei der Überarbeitung immer noch ändern, auch wenn euch das wahrscheinlich so einige graue Härchen wachsen lässt.

Eine Zusammenfassung für Besucher der vierten Terrasse des Läuterungsberges

  • Der Ich-Erzähler
    • Geschrieben wird aus der Sicht eines Charakters, der aktiv an der Geschichte teilnimmt
  • Der Er-/Sie-Erzähler
    • Geschrieben wird aus einer vom Geschehen der Geschichte entfernten Sicht, die nicht aktiv teilnimmt
    • Der allwissende Erzähler kennt alle Aspekte der Geschichte und kann in das Bewusstsein jedes einzelnen Charakters eintauchen
    • Der personale Erzähler kennt nur die Sicht eines einzelnen (oder selten auch mehrerer) Charaktere und weiß dementsprechend auch nur, was derjenige weiß
  • Warum Ich-Erzähler wählen?
    • Ist beliebter als Er-/Sie-Erzähler
    • Es ist leichter, nahe am Geschehen zu schreiben, da man sich ja auch als Autor sozusagen mitten darin befindet
    • Gute Wahl, falls ihr die Stimme eures Protagonisten, der die Geschichte ja schließlich erzählt, perfekt könnt
  • Warum nicht Ich-Erzähler wählen?
    • Schlechte Wahl, falls ihr die Stimme eures Protagonisten nicht perfekt könnt oder eure eigene Erzählstimme verwenden wollt
    • Ihr dürft nur schreiben, was euer Charakter weiß und kennt
  • Warum Er-/Sie-Erzähler wählen?
    • Schwieriger, nahe am Geschehen zu schreiben, aber definitiv trotzdem machbar
    • Allwissender Erzähler eliminiert die potenzielle Notwendigkeit mehrerer Perspektiven, da ihr sie alle in ihm vereinigt habt
    • Ihr könnt eure eigene Erzählstimme verwenden
  • Warum nicht Er-/Sie-Erzähler wählen?
    • Für viele Leser zu distanziert von der Geschichte
    • Momentan nicht gerade die beliebteste Perspektive
    • Pronomen können verwirrend werden
  • Das Mischen verschiedener Perspektiven und Erzähler in einem Buch ist natürlich möglich
  • Wählt einfach die Perspektive, die ihr am liebsten mögt, verdammt nochmal

Schreibe einen Kommentar