Wir alle haben es im Deutschunterricht wieder und wieder in unsere Gehirne geprügelt gekriegt: Stilmittel sind das A und O des Schreibens. Schließlich sind es doch die Stilmittel, die man in Klausuren peinlich genau untersucht und aus denen man die Botschaft des Geschriebenen zu quetschen hat, richtig?
Na ja. Jaein.
Heute habe ich mal eine etwas andere Art Beitrag für euch. Erwartet hier keine konkreten Tipps und Tricks, was das Schreiben angeht. An diesem herrlichen Samstag halten wir nur mal ein schönes Gespräch über die Notwendigkeit (oder eben auch Redundanz) der Stilmittel.
Schnallt euch also an, setzt euch gemütlich hin und macht euch bereit, jeden meiner folgenden Sätze mit einem freundlichen Kommentar zu zerreißen.
Stilmittel sind nicht sinnvoll
Okay, wieso habe ich das Gefühl, dass diese Überschrift mich entweder extrem beliebt oder extrem gehasst machen könnte? Und wieso heißt es eigentlich „beliebt“? Warum nicht auch „behasst“?
Jedenfalls. Wo war ich?
Habt ihr schon mal ein gutes Gedicht gelesen? Ein richtig, richtig gutes Gedicht? Mit wunderbar gewählten Stilmitteln? Vielleicht habt ihr das. (Wenn ja, könnt ihr mir bitte Titel und Autor mitteilen?)
So. Drehen wir das mal um. Habt ihr schon mal ein richtig, richtig schlechtes Gedicht gelesen? Wobei, nicht mal unbedingt ein Gedicht. Ein einziger Satz könnte schon reichen. Vielleicht aus einem Roman. Vielleicht aus einem Zeitungsartikel.
Hatte dieser Text vielleicht auch noch ganz scheußliche Stilmittel?
Ich möchte jetzt keine Beispiele nennen, weil ich niemandes Geschriebenes runtermachen will und weil ich mir sicher bin, dass alle Autoren sehr viel Arbeit und Liebe in ihre Werke stecken und ich nicht das Recht habe, das einfach so zu zerreißen.
Aber stellt euch einfach mal einen wahllos mit Stilmitteln vollgestopften Text vor. Tut es und weint.
Ich kannte mal eine sehr liebe Person, die sich für die begnadetste Autorin der Welt hielt und in jeden ihrer Sätze so viele Stilmittel gepumpt hat, dass man ehrlich nicht mehr erkennen konnte, worum es in dem Satz ursprünglich gehen sollte. Seid nicht sie.
Wir schreiben doch, damit es gelesen wird. Und niemand will etwas lesen, was er einfach nicht verstehen kann.
Damit meine ich jetzt nicht einmal unbedingt diese hyper-persönlichen Sachen, die einfach keiner versteht, weil sie beispielsweise eine sehr bestimmte Situation beschreiben oder voller Symbole sind. (Wobei ich diese Symbol-Dinger auch nicht leiden kann. Ich meine, Leute, schreibt’s und so, aber warum veröffentlicht ihr es, wenn es eh keiner versteht?)
Metaphern und Vergleiche sind davon meistens weniger betroffen. Die versteht man häufig, weil sie halt in irgendeiner Form Sinn ergeben oder erklärt werden.
Hot Take: Gute Metaphern sollten einen Text nicht unverständlicher machen, sondern ihn verbildlichen.
Aber mir geht es weniger um Metaphern und Vergleiche. Die findet man in fast jedem Gedicht und sogar in fast jedem Roman. Man vergleicht manchmal Sachen. Es soll vorkommen.
Was man aber häufiger sieht und was mich jedes Mal zur Weißglut treibt, sind völlig redundante Parallelismen, Alliterationen, Wiederholungen und all so etwas.
Es macht euch nicht cooler, wenn jeder eurer Sätze genau gleich strukturiert ist. Auf jeden Fall, solange das keinen tieferen Sinn hat. Nur weil euer Deutschlehrer mal gesagt hat, dass Parallelismen was ganz Feines sind, heißt das nicht, dass ihr verpflichtet sind, die jetzt überall einzubauen.
Dennoch habe ich nichts gegen Stilmittel. Zumindest habe ich nichts gegen gute Stilmittel.
Und was sind diese ominösen „guten Stilmittel“?
Das erfahrt ihr jetzt.
Stilmittel sind sinnvoll
Echt eine witzige Überschrift in einem Beitrag namens „Warum Stilmittel euch nicht weiterbringen“.
Fragt man eine beliebige Person, was für einen Sinn Stilmittel haben (oder haben sollten), ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man eine Antwort bekommt wie „Sie sollen das Geschriebene schön verpacken“ oder „Sie sollen bestimmte Sachen im Text betonen“.
Und hier ist der Knackpunkt: Stilmittel können einen Text von gut zu grandios werden lassen.
An dieser Stelle möchte ich gerne mal über meinen liebsten Autoren der ganzen weiten Welt reden, Publius Ovidius Naso, beziehungsweise Ovid.
Wer auch immer Latein hat, denkt sich jetzt entweder „Oh Gott, nee“ oder „Oh yay, Ovid“. Vermutlich eher Ersteres. Für alle, die ihn noch nicht kennen, hier mal eine kurze Zusammenfassung seiner Person:
Mein Kumpel Ovid war ein römischer Dichter und hat Stilmittel geliebt. Seine Gedichte sind damit geradezu zugemüllt, es ist wunderbar. Außerdem hatte er mit der Politik so rein gar nichts am Hut und hat sich nur auf das Schreiben fokussiert, weil er einfach eine coole Socke war.
Sein bekanntestes Werk sind die Metamorphosen, die sozusagen ein einziges riesiges Gedicht sind und verschiedene Verwandlungsgeschichten zeigen. Wer sie nicht kennt, ich empfehle die Metamorphose von Narziss und Echo zu lesen. Sie ist das, was meinem Leben einen Sinn gibt.
Natürlich hat Ovid auch noch andere Sachen geschrieben, die auch alle ganz toll sind, bla, bla, aber heute schauen wir uns mal die Metamorphosen etwas genauer an, denn mein Gott, da sind eindeutig genug Stilmittel, die man untersuchen kann.
Keine Sorge, wir machen hier heute keine Gedichtanalyse. Aber an Ovids Werken kann man gut festmachen, wann und warum Stilmittel so effizient und sinnvoll sein können.
Wenn ihr auf den Link geklickt habt, lest ihr die Übersetzung von Gottwein. Ich habe hier die Übersetzung von Michael von Albrecht vom Reclam-Verlag, aber wir kommen schon klar.
Wer die Geschichte von Narziss nicht kennt, hier meine möglichst kurze und objektive Zusammenfassung, da ich viele unpopuläre Meinungen habe, was diesen Mythos angeht: Narziss ist ein wunderschöner junger Mann, der von sämtlichen Menschen der gesamten Erde angehimmelt wird, aber alle abweist und letztlich von der Göttin Nemesis (bei Ovid Rhamnusia, das römische Äquivalent. „Rhamnusia“. Nennt mal euer Kind so) verflucht wird, weil irgendwer bei ihr angekommen ist und sie angefleht hat, Narziss auf die gleiche Art und Weise leiden zu lassen, wie all seine Verehrer*innen leiden, und sich daraufhin in sein eigenes Spiegelbild verliebt, zunächst unwissend, dass er selbst es ist, der sich da anguckt. Später kriegt er es dann aber doch raus, vielleicht hat er sich ein Gehirn wachsen lassen, keine Ahnung, jedenfalls kommt er damit eher so gar nicht klar und stirbt am Kummer. Schließlich verwandelt er sich dann noch in eine Narzisse, ist das nicht schön? Nun gut, weiter geht’s mit dem eigentlichen Programm.
Ein Auszug, V.446-447:
„Et placet et video, sed, quod videoque placetque,
non tamen invenio: tantus tenet error amantem!“
Übersetzung (ein wenig abgeändert):
„Und er gefällt mir, und ich sehe ihn, doch was ich sehe und was mir gefällt, finde ich dennoch nicht: so gewaltig ist der Trug, der den Liebenden gefangen hält!“
Mir fällt gerade auf, an wie vielen Stellen die Übersetzung vom Originaltext abweicht, aber das ignorieren wir einfach mal ganz gekonnt.
An dieser Stelle im Text erleidet Narziss seine leichte Existenzkrise, während der er einen sehr langen Monolog hält, den ich hier eigentlich als Ganzes als Beispiel von perfekt gewählten Stilmitteln einfügen könnte, aber konzentrieren wir uns auf ein paar Highlights, die auch meine ehemalige Lateinlehrerin gutheißen würde.
Wenn wir uns diesen Satz ansehen, fällt vielleicht auf, dass Ovid einen Chiasmus in ihn eingebaut hat. (Und weil der Chiasmus eventuell nicht das bekannteste Stilmittel ist: Es ist das Gleiche wie ein Parallelismus, nur dass die übereinstimmenden Satzelemente nicht parallel aufgebaut sind, sondern gekreuzt. Und weil ein paar von euch sich möglicherweise nicht ganz sicher sind, was ein Parallelismus ist: ein semantisch-syntaktisch gleichmäßiger Bau von Satzgliedern, Sätzen, Satzfolgen. Danke schön, Wörterbuch.)
„Er gefällt mir, und ich sehe ihn“/“was ich sehe und was mir gefällt“. Ovid vertauscht einfach die beiden Worte „placere“ und „videre“! Was für ein Schlingel!
Ein Chiasmus also. Rufen wir doch mal in unserer Logik-Zentrale an und fragen, was ein Chiasmus in einem geschriebenen Werk so zu suchen hat.
Aha? Ach so? Mm-hm. Ein Chiasmus könnte zum Beispiel eine Wechselwirkung von mehreren Dingen verdeutlichen.
Und wenn wir das jetzt mit dem Text in Verbindung bringen…
Für Kontext muss ich euch darüber informieren, dass das hier nicht die einzige Stelle ist, an der Ovid mit genau dieser Art von Stilmitteln spielt. Chiasmen benutzt er sowieso gerne und auch die Wirkung von Passiv- und Aktiv-Formen wird bis ins Letzte ausgeschöpft.
Aber welchen Sinn hat das alles? Warum benutzt er überhaupt Stilmittel? Warum erkläre ich euch das?
Wenn Narziss spricht und zunächst einmal genau die gleichen Worte zweimal kurz hintereinander sagt, betont sie das schon allein deswegen. Man liest das und denkt sich „Yo, placet und video. Cool“. Aber durch die Anordnung, durch den Chiasmus, kommt auch noch das Bild eines Spiegels auf. Weil die Worte gespiegelt sind. Ergibt Sinn, oder?
Das macht Ovid häufig. Er zeigt das Geschriebene durch spezielle Stilmittel. Er kloppt sie nicht einfach nur wahllos in seine Gedichte rein, sie erfüllen alle einen bestimmten Zweck.
Und dass Show meistens besser ist als Tell, haben wir ja schon gelernt. (Ovids Nutzung von Stilmitteln hat jetzt speziell nichts mit Show vs Tell zu tun, aber man muss ja schamlos Eigenwerbung betreiben, wann immer man kann.)
Über Narziss‘ ganzen Monolog verteilt findet man ähnliche Stilmittel-Bauten. Jetzt gucken wir uns mal eins von den bereits erwähnten Aktiv-Passiv-Gebilden an:
Ein Auszug, V.425-426:
„Se cupit imprudens et, qui probat, ipse probatur,
dumque petit, petitur pariterque accendit et ardet.“
Übersetzung:
„Nichts ahnend begehrt er sich selbst, empfindet und erregt Wohlgefallen, wirbt und wird umworben, entzündet Liebesglut und wird zugleich von ihr verzehrt.“
Ihr seht, was ich meine, richtig? Alles, was Ovid hier mit den Stilmitteln untermalt, betont nicht das, was dort so oder so schon geschrieben steht, sondern das übergreifende Thema des Gedichts, sobald Narziss sich selbst im Wasser sieht: die Liebe zu ihm selbst.
Und meiner Meinung nach ist es genau das, was Stilmittel tun sollten. Themen verbinden, die man vielleicht übersehen hätte, Dinge aufzeigen, die man nicht sofort beachtet.
Aber was bringt es mir, wenn nur das betont wird, was ich ohnehin gerade lese? Sicher, Metaphern schmücken einen Text aus und helfen einem, beispielsweise Gefühle besser zu beschreiben. Ich würde niemals etwas gegen Metaphern sagen. Aber jeder zweite Autor haut grundlos Alliterationen in jeden dritten Satz und jeder vierte Absatz bombardiert den Leser mit Anaphern.
Mein Fazit
Denke ich, dass ihr Stilmittel nicht nutzen solltet?
Nein, auf gar keinen Fall denke ich das.
Genau genommen bin ich persönlich ein großer Fan von Stilmitteln. Wie ihr bei der Ovid-Analyse vielleicht mitbekommen habt.
Allerdings denke ich, dass ihr Stilmittel mit Bedacht nutzen solltet. Verwendet sie nicht nur, um sie halt zu verwenden.
Ich weiß, dass viele junge Autoren denken, dass Stilmittel alles sind, was ein normales Buch von einem Meisterwerk trennt, weil es in Analysen wie gesagt meistens hauptsächlich um die Stilmittel geht. Aber hey, lasst mich euch mal was sagen: Ihr braucht nicht ein einziges Stilmittel, um ein fantastisches Buch zu schreiben. Klar ergibt es häufig Sinn und besonders häufig benutzt man ein Stilmittelchen, ohne überhaupt darüber nachzudenken (Wiederholungen lassen grüßen), aber ihr solltet euch niemals den Gehirnknochen brechen beim Versuch, möglichst viele Stilmittel in eure Texte zu hauen.
Allerdings denke ich, dass ich auch deutlich gemacht habe, warum Stilmittel schwieriges Terrain sein können.
Unverständlichkeit kann einen Text wahnsinnig unangenehm zu lesen machen.
Am besten ist es, ihr lasst eure Texte von Freunden oder eurer Familie durchlesen, damit die euch dann sagen können, ob irgendwelche Stellen schwer zu lesen oder verstehen sind. Ich persönlich empfehle, ein geniales Stilmittel nicht über die Verständlichkeit des Geschriebenen zu stellen. Ist natürlich nur meine eigene, wertlose Meinung, aber wenn man euren Kram nicht vernünftig lesen kann, wird ihn auch niemand lesen wollen.
Alles, was ich sagen will, ist, dass ihr euch nicht verrenken müsst, um halbherzig Stilmittel in eure Bücher zu drücken. Macht es mit Bedacht und weist durch eure Nutzung von Stilmitteln die Leser auf einen tieferen Sinn hin oder macht zumindest irgendetwas Cooles mit den Dingern.
Entweder, ihr macht es ganz oder gar nicht. Und mit „ganz“ meine ich nicht meine Bekannte, die mit ihren Stilmitteln jedes Mal ein Labyrinth gebaut hat, auf das noch Daidalos stolz wäre.