Man kommt aber auch nicht drum rum, hm? „Tell vs Show“, der erbittertste Kampf der Romanwelt, ein Krieg, der sich schon über Äonen erstreckt.
Na gut, ganz so dramatisch ist es nun wirklich nicht. Dennoch findet man im Internet immer wieder Tipps wie „NUTZT IMMER SHOW, NIEMALS TELL“, was übrigens kompletter Stuss ist, aber dazu später mehr.
Ich gehe stark davon aus, dass jeder, der sich schon mal Schreibtipps durchgelesen hat, von „Show vs Tell“ gehört hat, aber eine Website, die euch mit einem möglichst breiten Spektrum von Schreibtipps versorgen will, wäre ohne diesen hier einfach nicht komplett. Lehnt euch also zurück und genießt diesen Beitrag, vielleicht kommt ihr ja zu ein paar neuen Erkenntnissen. Viel zu häufig gibt es nämlich diese lustigen kleinen Schreiberlinge, die von sich selbst denken, sie hätten jeden einzelnen Aspekt des Schreibens verinnerlicht, dann aber trotzdem nicht in der Lage sind, dem Leser richtig zu zeigen, was in der Geschichte oder im Charakter vorgeht. Keine Sorge, niemand ist perfekt.
Oder falls ihr tatsächlich noch nie etwas von „Show“ und „Tell“ gehört haben solltet, willkommen in der realen Welt.
Was ist „Tell“?
„Tell“ übersetzt bedeutet in diesem Kontext einfach nur „berichten“. Man berichtet dem Leser, was der Charakter fühlt, was in der Geschichte vorgeht und so weiter und so fort. Man informiert ihn über die Geschehnisse.
„Telling“ ist denkbar simpel.
Beispiel: „Ihm war kalt. Er nahm sich noch eine Decke.“ Man nannte mich auch ein literarisches Genie, vielen Dank.
Ihr berichtet dem Leser Fakten. Tatsachen, die halt gerade so sind, wie sie sind. Das ist auch genau der Grund dafür, warum so viele Leute der Ansicht sind, dass „Telling“ an sich ein Fluch des Teufels ist, der sich wie ein Parasit in die Schreibwelt geschlichen hat. Es ist halt einfach irgendwie „langweilig“, wenn man etwas liest und sich einfach nur stumpfe Tatsachen anhört. Es kommt kein Gefühl auf.
Aber fürs Gefühl haben wir ja zum Glück noch unseren guten alten Freund, das „Showing“.
Was ist „Show“?
„Show“, ihr habt es erraten, heißt „zeigen“. Mensch, komplexes Englisch lernen wir heute auch noch, was? Vergesst die Schule, ich decke hier alle Wissensbereiche ab.
Jedenfalls. „Showing“. Ich bin voll da.
Wo ihr beim „Telling“ einfach nur Tatsachen beschreibt und erzählt, zeigt ihr den Lesern beim „Showing“, was genau abgeht. Das „Showing“ ist dafür da, dass eure Leser sich in die Geschichte hineinversetzen, dass sie etwas fühlen.
Schauen wir uns unser Beispiel von eben nochmal an.
Wenn ich euch „Ihm war kalt. Er nahm sich noch eine Decke“ sage, sollte das in euch nichts Besonderes auslösen. Es ist auf jeden Fall nicht so, als wäre mir persönlich plötzlich kühl, wenn ich so einen stumpfen Satz lese. Euch?
Schreibt man stattdessen aber etwas wie „Ein frostiger Schauer durchzog seine Glieder und zwang ihn, sich noch eine wärmende Decke um die Schultern zu legen“ kann man sich auf einmal viel besser in die Situation und die Gefühlslage des Charakters hineinversetzen.
Ziel des „Showings“ ist sozusagen, dass die Leser sich in der Szene befinden, dass sie sich so fühlen, als wären sie selbst dabei. Im idealen Fall fühlen sie sich sogar so, als wären sie der Charakter, dem das alles gerade widerfährt.
Ich denke, an dieser Stelle wäre ein Zitat von C. S. Lewis angebracht, das das „Showing“ so ziemlich auf den Punkt bringt:
„Don’t say it was ‚delightful‘; make us say ‚delightful‘ when we’ve read the description. You see, all those words (horrifying, wonderful, hideous, exquisite) are only like saying to your readers ‚Please, will you do the job for me.'“
Und, für die Leute, die meinen Englisch-Kurs noch nicht mit 15 Punkten abgeschlossen haben:
„Sage nicht, es war ‚herrlich‘; bringe uns dazu, ‚herrlich‘ zu sagen, wenn wir die Beschreibung gelesen haben. Siehst du, all diese Worte (schrecklich, wundervoll, hässlich, exquisit) sind, als sagtest du zu deinen Lesern ‚Bitte, erledigt meine Arbeit für mich.'“
Wann solltet ihr „Tell“ nutzen?
Auch wenn viele Mitglieder der Schreib-Community das „Telling“ verteufeln und schon lange als Spross Satans abgestempelt haben, sage ich euch hier und jetzt: „Telling“ ist genau so relevant wie „Showing“.
Klar, die „krassen“ Szenen in eurem Buch werden wohl eher vom „Showing“ profitieren als vom „Telling“: Die emotionalen Szenen, die Erster-Kuss-Szenen, die Todesszenen (Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich einen Beitrag zu Charaktertoden habe? Ich fand’s erwähnenswert). Diese Szenen sind bis zum Anschlag geladen mit Gefühlen und wie wir gelernt haben: Gefühle = „Showing“.
Aber wann zum Teufel benutze ich denn dann „Telling“, wenn „Showing“ so viel besser ist?
Na, zum Beispiel, wenn ihr Geschehnisse zusammenfasst.
Wenn jemand plötzlich anfangen würde, jede einzelne Bewegung des Protagonisten „Show“-mäßig darzustellen und dementsprechend auszuschmücken, wäre das fertige Buch letztendlich vermutlich ungefähr eine Million Seiten lang.
Manchmal muss man einfach uninteressante Sachen erwähnen, die aber trotzdem einen bestimmten Nutzen in der Geschichte haben. Miserables Beispiel, das mir gerade in den Sinn kam: Ihr wollt den Anfang eines Schultages eures Protagonisten genauer anschauen, weil er da vielleicht seinen Schwarm das erste Mal trifft oder so etwas in der Art. Daraufhin springt ihr dann zu einer Szene, die stattfindet, als die Schule gerade vorbei ist. Die Ereignisse, die vom Anfang des Schultages bis zu dieser Szene passiert sind, handelt ihr in der typischen „Tell“-Manier einmal kurz ab. „Als er nach Hause gekommen war, hatte er sich nur einen Apfel geschnappt und sich dann in sein Zimmer verzogen.“ So etwas brauchen die Leser nun wirklich nicht zu fühlen, richtig?
Aber auch innerhalb von Szenen ist „Telling“ durchaus eine Sache, die ihr anwenden solltet. Nicht jeder einzelne Satz sollte „Show“ benutzen. Tatsächlich kann ein netter Kontrast von „Show“ und „Tell“ in ein und demselben Absatz sehr angenehm zu lesen sein. Beginnt ihr den Absatz zum Beispiel mit einem schönen, stumpfen „Es war wärmer als gestern“ und haut dann eher zeigende Sätze raus wie „Sie warf den Kopf in den Nacken und genoss die lang ersehnten Sonnenstrahlen in ihrem Gesicht“, kann das sehr gut funktionieren.
Wann solltet ihr „Show“ nutzen?
Wie gesagt, das „Showing“ bietet sich in emotional aufgeladenen Momenten an. Szenen, in denen die Leser mit euren Charakteren mitfühlen und sich in sie hineinversetzen sollen.
Aber auch in „normalen“ Szenen ist es häufig schöner, dem Leser zu zeigen, was vorgeht, statt es nur zu berichten. So zum Beispiel das Beispiel „Ihm war kalt. Er nahm sich noch eine Decke“ versus „Ein frostiger Schauer durchzog seine Glieder und zwang ihn, sich noch eine wärmende Decke um die Schultern zu legen“. Das ist kein Satz, der unbedingt in eine besonders emotionale Szene gehört. Dennoch ist die zweite Variante doch angenehmer zu lesen. Und warum ist das so?
Weil es bildhafter ist. Weil man sich das besser vorstellen kann. Und um etwas anderes geht es beim Lesen doch letztendlich auch gar nicht: Man will sich die Geschichte vorstellen.
Vergesst nicht, dass ihr eure Geschichte dafür schreibt, dass Menschen sie sich vorstellen können. Selbst wenn ihr allein dieser Mensch seid.
Dementsprechend empfehle ich hier ganz offiziell: Benutzt „Show“, so oft ihr könnt und wann immer es passt. Wie gesagt ist auch ein bisschen „Telling“ häufig mal angebracht, aber „Showing“ sollte dennoch eure go-to Wahl sein.
Man kann „Showing“ in so vielen verschiedenen Bereichen anwenden! Zum Beispiel bei Beziehungen zwischen Charakteren. Berichtet nicht „Sie kannten sich seit ihrer Kindheit und liebten einander wie Brüder“, sondern zeigt den Lesern ihren freundschaftlichen Umgang, zeigt ihnen Insider, gemeinsame Erinnerungen. Halt, was die beiden miteinander verbindet.
Wie solltet ihr „Tell“ nutzen?
Wie ich bereits sagte: „Telling“ ist denkbar simpel. Ihr schreibt einfach auf, was gerade so abgeht.
Jemand rutscht aus und fliegt voll aufs Gesicht? „Er rutschte aus und flog voll aufs Gesicht.“
Ihm tut daraufhin die Nase weh? „Ihm tat daraufhin die Nase weh.“
Er sieht seinen Schwarm auf ihn zulaufen und fühlt sich beschämt? „Er sah seinen Schwarm auf sich zulaufen und fühlte sich beschämt.“
Und? Fühlt ihr die Szene? Nein? Gut, dann wäre meine These von eben ja bewiesen.
Es gibt zur Nutzungsweise von „Tell“ wirklich nicht viel zu sagen. Ich denke aber auch nicht, dass irgendjemand Schwierigkeiten damit hat, einfach Geschehnisse aufzuschreiben.
Wie man dagegen vernünftig „Show“ anwendet, ist für viele ein deutlich größeres Problem.
Wie solltet ihr „Show“ nutzen?
Unendlich hilfreicher Tipp, der mir persönlich erst echt nicht leicht fiel, aber wirklich, wirklich nützlich ist: Meidet „Tell“-/Sinnesverben wie „fühlen“, „hören“ oder „sehen“. Sie wirken wie ein Filter, durch den ihr eure Leser von der Szene trennt.
„Er fühlte einen Messerstich in seinem Rücken“ zeigt deutlich weniger als „Ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Rücken“. Kann sein, dass ich nur Paranoia vor Messerstichen habe, aber ich persönlich fühle Letzteres fast. Bei Ersterem hingegen denkt man sich nur so „Ah. Ja. Was?“
Ähnlich verhält es sich bei „Tell“-Adjektiven. „Glücklich“, „traurig“, „wütend“. Hört auf C. S. Lewis! Sagt nicht einfach „Sie war wütend“, sondern lieber „Eine glühende Hitze stieg in ihr hoch und sie musste die Zähne aufeinanderbeißen, um nicht laut loszuschreien“.
Ein Tipp, den ich mal vor einiger Zeit im Internet gelesen habe, lautete in etwa: „Um dem Leser etwas zu zeigen, schreibe ich erst den Sachverhalt in seiner stumpfesten Form auf. Dann beschreibe ich das Gleiche nochmal auf die übertriebenste und dramatischste Art und Weise, die mir möglich ist, bevor ich das schließlich in eine normale Sprache übersetze“.
Hier mal ein Beispiel.
Sachverhalt: „Sie fand diesen einen Typen da ganz süß.“
Übertriebene Version: „Als sie diesen einen Typen da erblickte, entflammte die Liebe ihr Herz und ihre Seele, eine sengende Hitze ausströmend, die sie eines Tages von innen heraus verzehren würde.“
Fertiges Produkt: „Ihr Blick fiel auf den einen Typen da und in ihrer Brust regte sich ein warmer Funke, als er ihr zulächelte.“
Boom, fertig.
Erinnert euch einfach beim Schreiben daran, dass eure Leser sich in den Charakter hineinversetzen wollen, dessen Gefühle ihr gerade beschreibt.
Übungen!
Wie immer gilt auch hier: Übung macht den Meister.
Deshalb gilt auch wie immer: Schreibt. Schreibt, schreibt, schreibt. Anwendung ist nun einmal das beste Mittel, um etwas zu lernen und zu verinnerlichen.
Aber natürlich habe ich noch mehr als das für euch! Hier ist Übung Nummer zwei:
Lest. Lest gute Bücher und untersucht dabei ganz bewusst Stellen, die mehr „Tell“- oder mehr „Show“-mäßig geschrieben sind. Je mehr ihr den Unterschied verinnerlicht, desto leichter wird es euch fallen, ihn in euren eigenen Werken anzuwenden.
Lesen ist sowieso immer gut, wenn man etwas über das Schreiben lernen will, also haut mal rein. Viel Spaß.
Eine Zusammenfassung für Besucher der vierten Terrasse des Läuterungsberges
- Was ist „Tell“, was ist „Show?“
- „Tell“: Das Berichten von Geschehnissen, Tatsachen
- „Show“: Das Zeigen von Geschehnissen, Gefühlen
- Wann „Tell“ nutzen?
- Zusammenfassungen von unwichtigen Geschehnissen, Tatsachen
- Einfache Sachen, die dem Leser nicht gezeigt werden müssen
- Nicht jeder Satz kann von „Show“ Gebrauch machen
- Wann „Show“ nutzen?
- Zum Zeigen von Gefühlen, Beziehungen &c
- So oft wie möglich (sofern es passt), damit der Leser sich besser in die Situation hineinversetzen kann
- Wie „Tell“ nutzen?
- Schreibt halt einfach hin, was passiert. Es ist nicht so kompliziert.
- Wie „Show“ nutzen?
- Meidet „Tell“-Worte
- Verben Beispiele: „fühlen“, „sehen“, „hören“
- Adjektive Beispiele: „glücklich“, „traurig“, „wütend“
- Zeigt den Lesern, was vorgeht, statt es nur zu berichten
- Trick: Erst alles überdramatisieren, dann runterschrauben
- Meidet „Tell“-Worte
- Übungen
- Schreiben. Quelle surprise.
- Lesen. Untersucht Bücher auf ihre Anwendung von „Show“ und „Tell“
Jaaa… also das mit dem „Show“ muss ich definitiv noch üben…
Müssen wir das nicht alle?